Lubiias

Leseprobe

„Alle Wagen sind mit mindestens zwei Fahrgästen zu besetzen.“
Na toll. Auch das noch. Die Hoffnung, diese Fahrt allein im Wagen verbringen zu können, konnte ich begraben. Als ich spürte, wie die Sicherung entriegelt wurde, schaute ich zur Seite um zu sehen, wer einsteigen würde. Ich erstarrte als ich feststellte, dass es sich um den Jungen handelte, um den noch vor Sekunden meine Gedanken kreisten. Wie hatte er es nur geschafft, so schnell von der anderen Seite des Fahrgeschäfts hier her zu gelangen? Zwanzig andere hätten vor ihm hier sein können, doch sie waren es nicht. Er muss sie geradezu weggedrängt haben. Die andere Möglichkeit war, dass ansonsten niemand mit mir fahren wollte - kein besonders aufbauender Gedanke. Er stieg ein und wendete dabei seinen Blick nicht von mir ab. Seine Miene verriet nichts, sie war wie in Stein gemeißelt. Höflicherweise lächelte ich ihm kurz zu, doch auch das veränderte seinen Ausdruck nicht. Er starrte mich einfach nur an. In seinem Blick lag etwas, das bei mir die Alarmglocken anschlagen ließ - etwas, das mir sagte: Von diesem Jungen geht Gefahr aus.
Konnte es sein, dass Ida Recht hatte?
Wenn ja, würde dieser Junge dann irgendwie mit dem Unglück zu tun haben, welches schon den ganzen Tag wie ein Damokles-Schwert über mir schwebte? War er der Grund für dieses Gefühl? Ich sollte besser Abstand von ihm halten. Nein, ich sollte verschwinden, denn genau das war es, was mir plötzlich beinahe jede Faser meines Körpers signalisierte. Aber eben nur beinahe jede Faser, denn gleichzeitig war es eben diese Gefahr, die mir gerade äußerst verlockend erschien und mich auf eine seltsame Weise anzog. So verlockend, dass ich keinesfalls gehen konnte, geschweige denn wollte. Es fühlte sich fast an wie Magnetismus. Er war der eine Pol und in mir schlummerten beide. Plus und Minus. Doch welcher würde stärker sein? Der Pol, der ihn abstößt weil sie zu verschieden sind, oder der, der ihn anzieht, festhält, sich an ihn klammert und ihn nicht mehr loslässt? Den Sieg welchen Pols würde ich vorziehen?
Ich drehte meinen Kopf weg, doch schielte weiter verstohlen zu ihm herüber, so, dass er es nicht zu sehen vermochte. Der Junge glitt auf seinen Sitz und platzierte sich so, dass er genau in der Ecke saß, die von der Bordwand des Wagens und der Rücklehne gebildet wurde. Seinen rechten Arm legte er oben auf der Rücklehne ab. Die Sicherung wurde verriegelt, die Karten eingesammelt und die Wagen setzten sich in Bewegung. Schlagartig wurde mir bewusst, was geschehen würde. Ich saß auf der Innenseite! Das bedeutete, die Fliehkraft würde mich direkt in die Arme des Jungen drücken, sobald die Geschwindigkeit hoch genug wäre. Und er saß da, den Arm einladend geöffnet und sah mich an, als ob er genau darauf wartete. Ich erschrak, als mir klar wurde, dass es tatsächlich so war. Er wartete darauf. Verunsichert registrierte ich die plötzliche Veränderung seiner Mimik. Er sah siegessicher aus. Siegessicher und gefährlich. Sein Blick wirkte bedrohlich.
In diesem Augenblick fuhren wir an seinen Freunden vorbei. Sie lächelten anerkennend, doch es war keine freundliche Art der Anerkennung die sagen sollte: 'Wow, da hast du dir aber ein hübsches Mädchen ausgesucht'. Nein, es war eine geradezu boshaft wirkende Art der Anerkennung. Ich war verwirrt. Die Anerkennung galt sicher ihrem Freund neben mir, weil er sich gerade dem ältesten Jahrmarktstrick der Welt bediente um ein Mädchen in seinen Armen landen zu lassen. Doch was hatte es mit dieser Boshaftigkeit auf sich? Galt sie mir? Und wenn ja - womit hatte ich sie verdient? Doch noch viel wichtiger war die Frage, was mir nun bevorstand. In meinem Inneren manifestierte sich das beklemmende Gefühl, in eine Falle gegangen zu sein. Ich war die Maus, die Sicherungsvorrichtung war der Bügel, der zugeschnappt ist und mich fixierte, und der Junge war..... was? Der Kater, der mich anschließend frisst?
Ich schüttelte meinen Kopf. Meine Gedanken waren absolut irrational. Meine Furcht war es ebenso. Das hier war nur ein Fahrgeschäft auf einem Volksfest. Ich war nur ein Mädchen und er war nur ein ganz normaler Junge. Ein Junge, der hier anscheinend mit seinen Freunden einen auf 'cool and dangerous' machen wollte um den Mädchen zu imponieren. Und zumindest bei mir schien diese Masche ja auch zu funktionieren, denn die verrückten und widersprüchlichen Gefühle in mir hatten zur Folge, dass der Junge neben mir, den ich vor wenigen Minuten das erste Mal gesehen hatte, schon zum Mittelpunkt meines Denkens geworden war. Ach was sage ich. Er brachte all meine Gedankengänge völlig durcheinander und wirbelte sie nur durch seine Anwesenheit wild herum! Übrig blieb nur ein Potpourri wüster Spekulationen, undefinierbarer Ängste und nicht zuletzt wilder Sehnsüchte. Und was für Sehnsüchte!  Trotzdem wollte ich natürlich nicht in seine Arme gedrückt werden. Die Geschwindigkeit erhöhte sich und ich krallte mich fest so gut ich konnte. Je schneller die Fahrt wurde, desto mehr zerrte die Fliehkraft, die sich als hundertprozentiger Komplize des Jungen entpuppte, an mir. Meine Hände verkrampften dich schmerzhaft und ich spürte, wie die Kraft in meinen Armen nachließ.
„Wollt ihr noch mehr?“, ertönte die Lautsprecherstimme und alle Fahrgäste, mit Ausnahme von mir und dem 'mich noch immer mit seinem Blick Durchbohrer' neben mir, schrien bei der Aussicht auf eine Erhöhung der Geschwindigkeit jubilierend auf.
'Nein, nein, nein. Halt dich fest! Um Himmels Willen, halt dich fest!', schoss es mir durch den Kopf. Doch als die Beschleunigung einsetzte, war jeder weitere Versuch, mich festzuhalten hoffnungslos zum Scheitern verurteilt. Wir fuhren so schnell, dass ich die umherstehenden Menschen lediglich noch als verschwommene Bilder wahrnahm. Ich knallte mit voller Wucht gegen den Jungen und wurde fest an ihn gepresst. Ich war sicher, ihm beim Aufprall mit meinem Ellenbogen in den Solarplexus gestoßen zu haben, doch er rührte sich nicht. Ich wurde mit der linken Schulter gegen seine Brust gedrückt. Es musste sich für ihn anfühlen, als würde ich 150 Kilo wiegen. Es war mir sehr unangenehm. Ich war der ganzen Situation einfach hilflos ausgeliefert.
Der Junge neigte seinen Kopf ein wenig nach vorn, so, dass sein Mund direkt neben meinem Ohr war. Unwillkürlich keuchte ich, denn diese zarte Beinahe-Berührung war, als würden Stromstöße an meiner Haut entlang prickeln und Einlass begehren. „Du hättest gehen sollen, als deine innere Stimme dich warnte“, hörte ich ihn mit tiefer, rauchiger Stimme sagen. „Nun ist es zu spät.“

7 Kommentare:

  1. Na, das klingt doch schon einmal sehr vielversprechend...

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  2. Die letzten beiden Sätze gefallen mir besonders gut. Da läuft einem ja glattweg ein Schauer über den Rücken.

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  3. Liest sich ja schon sehr spannend!

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  4. Wo kann ich denn dass Buch bestellen?

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  5. Im Buchhandel mit der ISBN Nummer. Inszwischen ist es auch bei amazon gelistet, jedoch dort noch nicht zu bestellen
    http://www.amazon.de/Kelt%C3%A2-Lubiias-die-du-liebst/dp/3939454648/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1323852302&sr=1-1

    Man kann es direkt bei Verlag beziehen. Geschichtswerkstatt Büdingen
    http://www.geschichtswerkstatt-buedingen.de/index.php/78-buecher-der-geschichtswerkstatt-buedingen/69-autorenlesung-kelta-lubiias-im-hexenstuebchen

    Denke für dein Interesse!!!

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  6. Ich habe dass Buch bestellt und direkt in 2 Tagen verschlungen!!! Es ist wirklich klasse! Für wann ist denn die Fortsetzung geplant?? Glg melle

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  7. Vielen Dank für dein nettes Lob.
    Es freut mich wirklich, dass es dir gefallen hat.
    Ich bin bereits fleißig daran, den zweiten Teil zu schreiben und hoffe, es im nächtsten Jahr fertig stellen zu können. Liebe Grüße Yvonne

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