Diligentir

Der Nebel lichtete sich ein wenig und ich erkannte Umrisse von etwas, das  Gebäude sein könnten. Neugierig auf einen Blick in die Vergangenheit, von dem so mancher Historiker träumen würde, ging ich vorsichtig ein paar Schritte auf die Umrisse zu, die mit jedem Meter an Kontur gewannen. Es waren wirklich Gebäude. Das eine musste ein kleines Wohnhaus sein und das andere ein Unterstand. Außer meinen Schritten im nebelfeuchten Gras und meiner Atmung hörte ich absolut nichts. Die Stille wirkte beunruhigend auf mich. Dazu noch das eingeschränkte Sichtfeld. Darum erschrak ich auch fast zu Tode, als ein großer Mann mit einer Schürze aus Leder und so etwas wie einem Hammer in der rechten Hand so dicht an mir vorbeischritt, dass seine langen, zu Zöpfen geflochtenen Haare meine Schulter streiften. Ich zuckte zusammen, denn es fühlte sich an, als würde man die Stelle gerade vereisen. Zischend vor Schmerz sog ich die Luft ein und schob mit der linken Hand mein T–Shirt weg, um mir die Stelle anzusehen. Dort, wo der Zopf des Mannes mich berührt hatte, war die Haut grau und faltig wie die eines sehr alten Menschen. Und es stach in meinem Arm. Es war das Gefühl, das man hat, wenn man nach einer Schneeballschlacht ohne Handschuhe die Finger unter warmes Wasser hält. Zwei Extreme trafen aufeinander. Heiß und kalt. Doch was war es in diesem Fall? Vergangenheit und Gegenwart? Tod und Leben? Ich erschauderte. Vielleicht war es beides. Der Mann war aus der Vergangenheit und er war tot. Möglicherweise war der stechende Schmerz in meinem Arm der Versuch meines Körpers, sich von dieser Berührung zu regenerieren. Ich schob das Shirt zurück und rieb meine fröstelnden Arme. Der Mann schien meiner Anwesenheit nicht gewahr zu sein, denn er sah sich nicht einmal um – was in Anbetracht dessen, dass ich optisch nun so gar nicht in diese Zeit passte, das Normalste der Welt gewesen wäre. Stattdessen ging er in den Unterstand und nahm ein weiteres Werkzeug von einem der Haken, die am dicksten Balken desselben befestigt war. Dann winkte er jemandem. Seine Lippen bewegten sich. Weshalb konnte ich nichts hören? Ich roch, sah und fühlte, konnte jedoch nicht das Geringste hören. Zu meiner Überraschung trabte auf dem Nebel ein Pferd heran…. na ja …. sagen wir Pferdchen, denn obwohl es nicht wie ein Fohlen wirkte, war es nicht viel größer als ein solches im Alter von drei oder vier Monaten. Dennoch schien es stark und muskulös zu sein. Keine Frage, dies war ein ausgewachsenes Pferd. Ich erinnerte mich daran, gelesen zu haben, dass die Pferde, die früher als Reittiere genutzt wurden, gegenüber den heutigen wesentlich kleiner waren. War ich so weit in der Zeit zurück? Wessen Erinnerung war das?

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